Ersatzfreiheitsstrafe für Schwarzfahrer – Zur Petition des Berliner Vollzugsbeirats beim Deutschen Bundestag

Im Juli 2011 initiierte der BVB nach Erörterungen mit allen Beteiligten, der Diskussion des Zahlenmaterials und der Rechtssituation eine Petition beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags. Zu dieser Zeit gab es in Berlin regelmäßig mehr als 400, zeitweilig über 500 Ersatzfreiheitsstrafer*innen. Problematisch in rechtlicher und vollzuglicher Hinsicht war (und ist teilweise noch) insbesondere:
– Sie sind zu einer Geldstrafe verurteilt und verbüßen dennoch eine Freiheitsstrafe;
– wegen der regelmäßig kurzen Inhaftierungszeiten kann keine Resozialisierungsbehandlung stattfinden;
– der Haftaufenthalt stellt sich für die Betroffenen regelmäßig deshalb belastender dar als regulärer Freiheitsentzug, weil sie sehr oft nicht arbeiten können und es auch sonst keine sinnvolle Beschäftigung für sie gibt;
– für die Haftanstalten sind Ersatzfreiheitsstrafer belastender als reguläre Strafgefangene, weil sie wegen extrem häufiger (ca. 80 %) physischer und psychischer Erkrankungen und wegen der relativen Kürze ihrer Haftzeiten oft nicht in Arbeit gebracht werden können und besonders intensiver ärztlicher wie auch sozialarbeiterischer Zuwendung bedürfen;
– für die Allgemeinheit sind Ersatzfreiheitsstrafer äußerst teuer und belegen (im Männerstrafvollzug) relativ viele ohnehin kostenintensive Haftplätze (ca. 8 – 14 % !);
– Ersatzfreiheitsstrafen beruhen vergleichsweise sehr oft auf der Ahndung von Vergehen gegen zivilrechtliche Interessen, die zivil, effektiver, rechtsnäher und vor allem billiger verteidigt werden könnten. Pro Inhaftierung fallen zum Beispiel bei 30 Haftplatztagen zu je ca. € 150,– insgesamt also € 4.500,– an. Hinzu kommen Kosten der Strafverfolgung, Verurteilung und Vollstreckung mit teilweise sicher noch einmal bis zu € 3.000,– pro Fall, die von der Allgemeinheit zu tragen sind. Der Betrag von drei Einzelfahrscheinen der BVG hingegen beläuft sich zur Zeit auf € 10,50. Das zivilrechtliche Interesse der Berliner Verkehrsbetriebe an dieser Forderung erscheint erklärungs- und rechtfertigungsbedürftig.
Unsere Petition von 2011 wurde beim Petitionsausschuss des deutschen Bundestags unter der Nr. Pet 4-17-07-450-026654 geführt. Sie wurde bald nach einer Gegenstellungnahme des Justizministeriums negativ beschieden. Auch weitere Institutionen und Einzelpersonen starteten, ebenfalls weitestgehend erfolglos, Petitionen und waren auf andere Weise gegen Ersatzfreiheitsstrafen initiativ (Petition Feest Januar 2016 Pet. Nr. 63094; Freie Träger der Straffälligenhilfe; ab Sept. 2016 Berliner Rot-Rot-Grün Initiative auf Bundesebene; u.v.a.m.).
In Berlin war zwischenzeitlich die Anzahl der Ersatzfreiheitsstrafer vor dem Hintergrund politischer Positionierungen und der Ausweitung des Day-by-Day-Modells (Ersatzfreiheitsstrafen können auch während der Haft abgearbeitet werden) deutlich reduziert worden. Einen anderen Weg geht der 2021 gegründete „Freiheitsfonds“, der mit ihm zugewendeten privaten Spendenmittel die Geldstrafen von Personen zahlt, die im Rahmen einer Ersatzfreiheitsstrafe wegen Beförderungserschleichung im Gefängnis sitzen. Nach eigenen Angaben hat der Fonds dadurch 166 Jahre Gefängnis vermieden und haben die Gefängnisse dadurch pro ausgelöstem Tag € 150,–, somit insgesamt mehr als 9 Millionen Euro Haftkosten gespart (Stand: März 2024).
Im Juli 2023 wurde – letztlich erst mit Wirkung zum 01.02.2024 – der § 43 Strafgesetzbuch (StGB) dahingehend geändert, dass für zwei Tagessätze nicht getilgter Geldstrafe nur noch ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe zu verbüßen ist. Außerdem soll intensiver auf die Tilgungsmöglichkeit von „Arbeit statt Strafe“ hingewirkt werden. Dazu wurde länderrechtlich für Berlin zunächst bestimmt, dass vier (4) Stunden gemeinnütziger Arbeit einen Tagessatz tilgen. Die Berliner große Koalition aus CDU und SPD hat das Anfang 2024 auf sechs (6) Stunden pro Tag erhöht.
Der BVB widmet sich weiter und aktuell (2024) zusammen mit dem Verein Freiabonnements für Gefangene im Rahmen des „Runden Tisch für ausländische Gefangene und Gefangene mit Migrationsgeschichte“ dem Thema. Denn wenn verschiedene europäische Länder, wie z.B. Schweden, eine vernünftige Rechtsprüfung bei der Umwandlung von Geldstrafen in Freiheitsstrafen haben und weitere „zivile“ Wege gehen, um die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen auf Null zu reduzieren, zeigt das, dass es geht, dass die eingangs skizzierten Mängel nicht akzeptiert werden müssen, und dass auch in Deutschland mehr „Zivilisation“ möglich sein sollte.